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Ein Besuch bei Mumia Abu-Jamal im Todestrakt von Pennsylvania
English Original |
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Der fehlbenannte "Progress Drive" ("Fortschrittsstraße"), eine ¼ Meile3 lange, eine Stunde östlich von Pittsburgh gelegene Straße, endet genau gegenüber dem "State Correctional Institute (SCI) Greene", jenem hochmodernen Gefängnis, in dem Mumia Abu-Jamal - unschuldig1 - in der Todeszelle sitzt.
Für einen Mann, der wie Mumia täglich seit über 19 Jahren in Greene und anderswo 23 Stunden am Tag in einer winzigen Zelle eingesperrt wird, wirkt er äußerst gut gelaunt auf mich. Mumia grüßt meine erhobenen Hände, indem er mir im "High Five"- Stil seine in Handschellen gelegten Hände -die undurchdringliche Barriere der Plexiglasscheibe zwischen uns - auf meine Handflächen legt; mit einem herzlichem Lächeln, das breiter und wärmer nicht sein könnte.
"Mumia, Du siehst phantastisch aus!", sage ich aufrichtig, als seine Augen die meinen mit Enthusiasmus und sofortiger Freundschaft treffen. "Du jedoch solltest etwas kürzertreten, Jeff!" erwidert er mit einem herzlichen Lachen ob meines unschmeichelhaften Bauchumfanges.
SCI Greene, auf halber Strecke zwischen der ländlichen Bruderhof Gemeinde2 und dem urbanen Pittsburgh gelegen, erscheint als ein bizarrer Ort. Umgeben von hohen Zäunen und furchteinflößendem messerscharfen Stacheldraht sieht es aus dem Blickwinkel von BesucherInnen wie eine perfekte Anstalt aus, in der jeder Zentimeter für maximale Sicherheit, Repression und - in vielen Fällen - Tod verplant ist.
Vor dem Betreten des Wartebereiches für BesucherInnen wurden mir genaue Verhaltensanweisungen gegeben, so ist zum Beispiel die Mitnahme bestimmter Gegenstände (z.B. Stift, Papier oder Kamera) verboten; anschließend kontrollierte mich ein Wächter mit einer mir unbekannten Maschine, die angeblich selbst kleinste Mengen illegaler Drogen aufspüren kann.
Während ein ausliegendes Flugblatt verkündete, dass Greenes Polizei ein "drogenfreies" Gefängnis anstrebt, war die Unmöglichkeit dessen, dass einE BesucherIn ein Paket mit illegalem Material durch die massive Plexiglasscheibe( die meinen BesucherInneraum von dem Mumias trennt), schleusen könnte, vollkommen offensichtlich.
Die BesucherInnen werden im Wartesaal allein mit den dort aufgestellten Vitrinen gelassen, in denen Pokale gruppiert sind, die SCI Greene Bedienstete in Baseball-, Bowling-, Golf- und anderen Turnieren zwischen Schließermannschaften gewonnen haben. Wie auch immer, die WächterInnen gehen ungehindert durch die mehrfach verschlossenen Stahltüren des BesucherInnenraumes, also auch ohne Drogentests, ein und aus.
Mit einer kurzen Aufforderung wurde ich aufgerufen, mich auf eine fast ¼ Meile lange Reise zu begeben: Durch, wie es mir vorkam, eine endlose Reihe massiver Schiebetüren, die sich öffneten, wenn ich erschien, nur um sich hinter mir wieder zu schließen, worauf ich wieder auf das Öffnen der nächsten Tür, kaum 10 Schritte entfernt warten musste.
Der wiederhallende Tunnel aus Stahl und Plexiglas öffnete sich schließlich in einen weiteren BesucherInnenraum, wo ich nochmals durchsucht, meine Papiere zum dritten Mal kontrolliert wurden. Anschließend wurde mir eine nummerierte Besuchszelle zugewiesen, in der ich Mumias Eintreffen erwarten sollte.
Mumias Tribut an Shaka Sankofa
Während die Liebmann Studie - natürlich unabsichtlich - auch als Multiplikator von Verfahrensfehler aus Mumias Prozeß dient, wurde sie durch das besondere Medieninteresse, welches sie hervorrief zu einem wichtigen Argument im Kampf um das Leben von Shaka Sankofa5.
Mumia drückte seine tiefe Bewunderung dafür aus, daß der Fall Shaka Sankofas die volle Aufmerksamkeit seiner UnterstützerInnen erfuhr. Tatsächlich, im Monat bevor der Gouverneur von Texas, George Bush Junior den unschuldigen Shaka Sankofa am 22. Juni hinrichtete, machten Mumia Solidaritätsgruppen aus dem ganzen Land diesen weniger populären Fall einer großen Öffentlichkeit bekannt.
Shaka starb mit Würde und mit der stolzen Gewißheit, daß eine erneuerte Bewegung gegen die Todesstrafe dabei ist, sich zu erheben.
Mumia, dessen Artikel über Sankofa weit verbreitet wurden, war erfreut, dass ein zwingender Beweis für Sankofas Unschuld6, von der Jury und dem Gericht aus "Zeitgründen" nicht anerkannt, was vom obersten Gerichtshof bestätigt wurde, die "New York Times" und andere bedeutende Medien dazu veranlasste, über Sankofa zu berichten und die Legitimität der Hinrichtung zu hinterfragen.
Ich erfuhr, dass Mumia gerade einen Universitätsabschluss (Masters degree) bestanden und seine Dissertation über die Black Panther Party geschrieben hat. Mumia, selbst ein Ex-Panther verfolgte die starke Repression des Staates gegen die Organisation ebenso wie die gefährlichen internen Auseinandersetzungen und Widersprüche über die politische Orientierung, die zum Niedergang und schließlich zum Tod der Black Panther Organisation führten.
Literatur zu geschichtlichen Themen bildet den größten Teil der von Mumia gelesenen Bücher. Er liest weitgestreut und sieht diesen "Geschichtsunterricht" als unentbehrlich für das Verständnis heutiger sozialer Kämpfe an. Er erzählte mir, dass ihn Werke wie C.L.R. James "Black Jacobins", eine Betrachtung der erfolgreichen haitianischen SklavInnenrevolte in den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts gegen die französische Regierung des Napoleon Bonarparte, inspiriert haben. Der 50jährige Sklave Toussaint L´overture führte die Befreiungsbewegung der unterdrückten HaitianerInnen an, die erfolgreich die Versuche der damals stärksten Armee der Welt, die haitianische Rebellion niederzuschlagen abwehrte. Mumia drückte ein besonderes Interesse am politischen Hintergrund C.L.R. James aus, des amerikanischen revolutionären Sozialisten und brillanten Redners, der, was Mumia nicht bekannt war, viele Jahre als einer der leitenden Genossen der Socialist Workers Party (SWP) gewirkt hat.
Auch die Werke George Breitmans, eines anderen SWP Mitgliedes, über Malcolm X haben ihren Weg auf Mumias "Bücherliste" gefunden. Besonders beeindruckt war er von Breitmans "The last year of Malcolm X: The Evolution of a revolutionary", einer wichtigen Arbeit, die Malcolms Ansichten über wichtige Probleme der "Black Liberation" Bewegung der 60er Jahre beleuchtet.
Daran anschließend tauschten wir Gedanken über die politische Orientierung, Organisierung und Entwicklung einer Reihe heutiger HistorikerInnen und SchriftstellerInnen, darunter die obengenannten, aus. Mumias große Bescheidenheit wurde auch hier deutlich. Wenn ihm irgendein Aspekt, über den wir sprachen nicht bekannt war, zögerte er nicht, sofort um weitere Informationen zu bitten.
Die Kämpfe der Jugend in der Gegenwart
Mumia äußerte sich zur Rolle der Jugend in den jüngsten Protesten gegen WTO und IWF in Seattle und Washington; besonders beeindruckt war er von der Aussicht auf eigenständige Aktionen der gewerkschaftlichen Basis für ihre Interessen.
Er betonte besonders sein Interesse und seine Freude daran, aus vielen Quellen über die Teilnahme von Jugendlichen im High School Alter an den gesellschaftlichen Kämpfen, die sich entfalten, zu hören.
Ich fragte Mumia nach seinen Eindrücken von den vielen Prominenten, die ihn im Gefängnis besucht hatten, um ihre Solidarität auszudrücken. Besonders beeindruckt war er von den Besuchen Alice Walkers und Ossie Davis´, zweier Menschen, die große Anstrengungen unternehmen, um Mumias Fall jenem großen Publikum, das sie beeinflussen können, bekannt zu machen.
Wie immer war Mumia auch in diesen beiden Fällen mehr an ihrem Charakter, ihrem politischen Selbstverständnis, ihrem lebenslangen Engagement für soziale Gerechtigkeit und ihrer künstlerischen und schriftstellerischen Arbeit interessiert, als an ihrem Engagement für den Kampf um seine Person. Er behandelte sie als ebenbürtig, als menschliche Wesen, die Teil des gleichen Kampfes wie er selbst sind.
In dieser Hinsicht erschien mir Mumia mehr wie ein ungewöhnlich bescheidener und hingebungsvoller Mitkämpfer für die Befreiung der Menschheit und weniger als jemand, der in einer lebensbedrohlichen Lage ist.
Und wie die besten AktivistInnen., die ich kennen lernen durfte, war er in der Lage, auch in den dunkelsten Situationen noch seinen Humor zu behalten. Während wir von einem Thema ins nächste kamen, brach Mumia oft in ein ansteckendes Lachen aus, das sein ganzes Gesicht erhellte und seinen Körper belebte. So ist er in der Lage, dem täglichen Elend, dem ihm die Staatsmacht unterworfen hat zu entkommen und jene schönen Momente zu genießen, in denen die Menschenverachtung der Herrschenden in all ihrer Grausamkeit, Flachheit und Heuchelei offensichtlich wird.
Mumia und Kuba
Als ich ihm erzählte, daß ich mich gezwungen fühlte, die kubanische Einladung, nach Kuba zu reisen und über seinen Fall zu sprechen abzusagen, weil ich meinem Sohn versprochen hatte, an seiner Universitätsabschlussfeier teilzunehmen, signalisierte Mumia mir sofort sein Verständnis. Da er selbst Vater ist, versteht er nur zu gut den Druck auf politische Menschen, ihre persönlichen und familiären Belange dringenden politischen Erwägungen unterzuordnen. Wie stolze Eltern es eben tun, erzählten wir uns Geschichten unsere über Kinder und teilten die Freuden, die es uns beschert, sie mit liebendem Herzen und Engagement für soziale Gerechtigkeit aufwachsen zu sehen. (Ende Juni hielt Mumias Sohn Mazi Jamal in Havanna eine Rede vor 30.000 Menschen, die die Rückkehr von Elian Gonzales feierten. Er dankte den KubanerInnen für die Unterstützung des Kampfes seines Vaters für ein neues Verfahren.)
Mumia war ein leidenschaftlicher Unterstützer des Kampfes des kubanischen Volkes für Elians Freiheit. Kuba war immer ein besonderer Ort für Mumia, nicht nur, weil es die einzige Nation ist, die sich aktiv um sein Schicksal bemüht, sondern auch wegen Kubas einzigartiger Position in der revolutionären Weltbewegung, als eine Nation, die ihren revolutionären Optimismus nicht preisgegeben hat und an ihren ursprünglichen Prinzipien festhält.
Als ich Mumia vom Erfolg des am 29.April dieses Jahres am Community Theater in Berkeley (Kalifornien) uraufgeführten Theaterstückes "Kinder des Widerstandes" berichtete, an dem sein Sohn Mazi und die Tochter der verstorbenen Umweltaktivistin Judi Bari8 teilnahmen, breitete sich ein Lächeln über Mumias Gesicht aus. Aber es war nicht nur wegen der 3000 Menschen, die an diesem ungewöhnlichen theaterähnlichen Andenken an Julius und Ethel Rosenbergs Kampf für Leben und Gerechtigkeit und dessen Verbindung über 3 Generationen mit den KämpferInnen der heutigen Auseinandersetzungen teilnahmen.
Mumia erzählte, daß er Jahre vor seiner Inhaftierung den Organisator der Aufführung in Berkeley, Robbie Meeropol, den Sohn der Rosenbergs, die als Opfer der McCarthy Hexenjagd fälschlicherweise schuldig gesprochen und hingerichtet wurden, getroffen und interviewt hatte. Er erinnert sich, Robbie damals gefragt zu haben, ob ein ähnlicher Komplott auch heute noch inszeniert werden könnte. Mit einem sardonischen (bitteren) Lächeln erzählte Mumia, daß damals beide Männer übereinstimmten, dass es wieder passieren könnte und auch würde.
Mumia war erfreut Details der gut besuchten Demonstrationen im letzten April und Mai zu erfahren. So berichtet ich von den 6000 Menschen am 7. Mai im New Yorker Madison Square Garden, den 6000, die am 13. Mai in San Francisco demonstrierten und den unzähligen Protesten, die am gleichen Tag in über 70 Städten des Landes seinetwegen stattfanden.
Wie immer war er mehr als ein Teilhaber am Erfolg einer wachsenden sozialen Bewegung erfreut, die fähig ist, Ungerechtigkeiten an vielen Fronten anzugreifen, als als das Subjekt dieser Proteste. Da unser Gespräch durch eine Lautsprecheransage, die das Ende meines Besuches ankündigte, beendet wurde, scherzten wir und planten, was wie nach seiner Freilassung tun würden. Wir verabredeten uns zu langen Spaziergängen in Freiheit, zu Festessen mit alten und neuen FreundInnen und zu Reisen, zu den fernen Orten, die Mumia sehen will.
Mumia ist ein liebenswürdiger Revolutionär, ein Mann von unglaublicher Wärme und Bescheidenheit. Er hat ein Lachen, das mich tief berührt hat, ein intensives Interesse an alten und neuen Ideen und ein unermüdliches revolutionäres Vertrauen in die Möglichkeit der AktivistInnen, seine Freiheit zu gewinnen und die Welt zum Nutzen aller zu verändern. Es war ein Besuch bei einem Fremden, der mir vorkam wie bei einem besten Freund. Mumia Abu-Jamal ist der Stoff, aus dem revolutionäre KämpferInnen gemacht sind. Wenn wir Mumia Abu-Jamals Freiheit erkämpfen, haben wir eine wertvolle Bereicherung für unseren Kampf gewonnen und uns auch ein Teil unserer eigenen Freiheit zurückerobert. Anmerkungen der ÜbersetzerInnen: 1 Mehr Informationen zu Mumia Abu-Jamal im Internet unter www.mumia.de 2 Am Tag vor seinem 2 Stunden und 10 Minuten langem Besuch bei Mumia Abu-Jamal, besuchte Jeff Mackler die Bruderhof Community. Der "Bruderhof" ist eine religiös/spirituelle Vereinigung. Die Mitglieder der Community betätigen sich jedoch auch auf politischem Gebiet. So treten sie z.B. für die Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak und für soziale Gerechtigkeit ein und auf. Lehnen aber Abtreibungen ab und propagieren die Familie (Anm. MSI). Steve Wiser einer der Vorstände der Community ist - wie Jeff Mackler - Mitlied in der nationalen Koordination der Verteidigung und Herausgeber des jüngsten Buchs von Mumia. Mit ihm traf sich J.M. dort. 3 circa 400 Meter 4 Studie, in der die Todesurteile der Jahre 1973 bis 1995 in juristischer Hinsicht untersucht wurden. Die umfangreiche Studie kann in englischer Sprache im Internet abgerufen werden: http://justice.policy.net/jpreport/ 5 Shaka Sankofa (Geburtsname: Gary Graham) wurde am 22. Juni 2000 mittels Giftspritze in Texas ermordet. Der oberste Gerichtshof hatte kurz zuvor mit fünf zu vier Stimmen einen Aufschub abgelehnt. Er hatte mehr als die Hälfte seiner 36 Jahre in der Todeszelle verbracht. Im Alter von 17 (!) Jahren wurde er fälschlicherweise wegen des Mordes an einem Weißen verurteilt. Im Gefängnis entwickelte er sich zu einem Aktivisten gegen die rassistische Todesstrafe. 6 Shaka Sankofa wurde allein aufgrund von Indizien und einer recht dubiosen Aussage einer Augenzeugin verurteilt. Beweise für seine Täterschaft gab und gibt es nicht. Dafür gibt es aber inzwischen nach neuen Recherchen eine ganze Reihe von neuen ZeugInnen und Indizien, die gegen eine Täterschaft sprechen. So ergab eine ballistische Untersuchung inzwischen, dass die tödliche Kugel nicht aus der Waffe stammte, die bei Graham gefunden worden war. 7Die Rede mit dem Titel "Hat ein einzelner Mensch eine Auswirkung auf die Welt?" findet sich in einer deutschen Übersetzung im Angehörigen Info Nr. 233. 8 mehr Informationen zu Judi Bari im Internet: http://www.judibari.org/ |
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Vorabveröffentlichung aus Avanti - Zeitung des Revolutionär Sozialistischen Bund / IV.Internationale (RSB) - Übersetzung: leia & lenny Der Autor: Jeff Mackler ist nationaler Sekretär vom "Socialist Action" Außerdem ist er in der Mumia Abu-Jamal Solidaritätsarbeit aktiv. Dort u.a. als nationaler Koordinator der Verteidigung und als Aktivist der Nordkalifornischen Organisation "Mobilisation für die Freiheit von Mumia Abu-Jamal" Quelle: Socialist Action Juli 2000 (Socialist Action ist die Zeitung der gleichnamigen us - amerikanischen Organisation, die politisch mit der IV.Internationalen sympathisiert. In den USA ist es Parteien aufgrund von antikommunistischen Gesetzen verboten, Mitglied in internationalen politischen Organisationen zu werden. |
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