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  Der Angeklagte
Der "brilliante" Journalist als Mordverdächtiger - Freunde sind ratlos
von Christopher Hepp
Daily News
Donnerstag, den 10. Dezember 1981
 
 

Alle, die ihn kennen, benutzten ähnliche Adjektive. Talentiert. Brilliant. Leidenschaftlich. Diese Worte wiederholten sich gestern immer wieder, als Freunde und Kollegen von Mumia Abu-Jamal vergeblich zu ergründen versuchten, was passiert war. Soviel war klar: Der 27jährige Rundfunkjournlist war wegen Mordes an einem Polizisten verhaftet worden, und Jamal selbst war schwer verletzt. Aber diese Fakten boten keine Erklärung, keine Antwort auf die Frage: "warum?"

Jamals Festnahme wegen Mordes scheint ein weiterer Widerspruch im Leben eines Mannes zu sein, den Freunde als ruhig und friedliebend in Erinnerung haben. Er war ein preisgekrönter Journalist von sehr großem Talent, hatte aber viele Konflikte mit seinen Arbeitgebern und wechselte seine Stellen ziemlich schnell. Seine Arbeit zeugte von tiefer Leidenschaft und großem Verständnis für die Minderheiten der Stadt, jedoch bezweifelten einige, mit denen er zusammenarbeitete, seine Objektivität. Wegen seiner Reportagen bezeichnete das Philadelphia-Magazin ihn als eine "Person, die man 1981 beobachten sollte", aber Kollegen beschrieben ihn manchmal als unzuverlässig. Mumia Abu-Jamal, Aktivist, Journalist und jetzt Mord-Verdächtiger, ist Nachrichtenmacher, seit er mit 16 als Wesley Cook, seinem Geburtsnamen, Pressesprecher der Black Panther Party in Philadelphia war. "Schwarze sehen sich mit eben der Realität konfrontiert, mit der sich die Black Panther Party auseinandersetzen mußte: Die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen", erzählte er einem Reporter zu jener Zeit. Derlei erhitzte Rhetorik war durchaus üblich damals, aber sie illustriert die Tiefe seiner Zugehörigkeit zu dem Anliegen der Rassengleichberechtigung.

1979 verließ er die Black Panther, um an die Benjamin Franklin High School zurückzukehren. Dort half er mit bei dem erfolglosen Versuch der Schüler, den Namen der Schule in Malcolm X High School zu ändern. Zu der Zeit damals bezeichnete der Direktor Leon Bass Jamal als einen Schüler mit "großem Potential". Das Potential begann sich zu verwirklichen, als Jamal seine Rundfunkkarriere bei der Radio-Station der Temple Univesität WTRI-FM begann, wo er während des ganzen Jahres 1973 eine Kommentarsendung über "schwarze Themen" moderierte.
1975 bekam er den Job als Moderator in Mary Masons "Morning with Mary"-Show bei WHAT. Mason war sofort eingenommen von seiner klangvollen Bariton-Stimme und erkannte Jamals Talent. "Er war einer der besten in dem Geschäft", sagte sie gestern. "Er war eine außergewönliche, neuartige Person. Jamal hätte ein Rundfunkstar sein können." Er war ein Mann, der sich seiner "Schwarzheit" sehr bewußt war, sagte sie und beschrieb Jamal als eine Mischung aus Malcolm X, Dr. Martin Luther King und Jesse Jackson. Trotzdem gab es Spannungen zwischen den beiden, und ihre Verbindung endete, als Jamal einen Warnstreik anderer WHAT-Beschäftigter anleitete. Als Folge verschwand Masons Show eine Zeitlang aus dem Programm. Jamal verließ WHAT für einen Auftritt bei WPEN. Von WPEN wechselte er als Reporter und Kommentator weiter zu WHUY. Nick Peters, der neue Direktor von WUHY erzählte, daß Jamal von Juli 1979 bis zum 6. März diesen Jahres beim Sender gearbeitet hatte, als er nach einer Auseinandersetzung mit Peters einwilligte, den Sender zu verlassen.

"Er ging nach einer wachsenden Reihe von Meinungsverschiedenheiten darüber, wie man berichten sollte", sagte Peters. "Bei machen Geschichten wollte er partout keine Objektivität zeigen, und ich mußte die andere Seite regelrecht aus ihm herausschütteln". Dennoch war es während seiner Zeit bei WUHY, daß Jamals Talente als Journalist und Radiomann weithin bekannt wurden. "Er hatte eine unglaubliche Stimme, er konnte sehr gut schreiben und er war ein exzellenter Produzent", sagte Peters. "Er konnte wahre Wunder mit dem Ton vollbringen." Jamal war eine bekannte Figur im Rathaus, während er bei WUHY arbeitete. Er berichtete oft über Wohnungsfragen, Gefängnisse und andere Themen, die arme Leute und Minderheiten betrafen. Seine Arbeit an der Show "91 Report" gewann etliche lokale Rundfunkpreise, einschließlich der Preise der Gesellschaft Professioneller Journalisten, Sigma Delta Chi. America Rodriguez, der mit Jamal an der Show gearbeitet hatte, sagte: "Er hatte einen sehr fein ausgebildeten analytischen Sinn und ein dramatisches Flair - ein ernsthaftes dramatisches Flair... Es war nicht so, daß er (seine Geschichten) dramatisierte. Er konnte einfach das dramatische aus einem Ereignis herausholen." Joe Davidson, der Jamal als Präsident der Vereinigung Schwarzer Journalisten der Stadt ablöste und der Bürochef der Rathaus-Pressestelle ist, sah das auch so: "Er gab seinen Geschichten tatsächlich ein Sinn für Dramatik, ohne eine Sensation aus ihnen zu machen", sagte Davidson. "Ich hielt ihn für den besten Rundfunkjournalisten der Stadt. Seine Stimme war fürs Radio gemacht, und er konnte schreiben." Rodriguez sagte, daß Jamal sich durch seine Berichte über die Reaktion von Nord-Philadelphia auf den Pabst-Besuch 1979 und seine fortgesetzte Berichterstattung über MOVE von den anderen absetzte.
Aber es war seine Arbeit an Geschichten wie der von MOVE, die die Frage nach der Objektivität seiner Geschichten aufbrachte. Einige fanden, daß er in seinem Bemühen, den übersehenen Bereichen der Gesellschaft eine Stimme zu geben, selbst die jeweils andere Seite der Geschichten übersah. Während er über die radikal-ökologische MOVE - Gruppe berichtete, entwickelte er sich innerlich auf sie zu, sagen einige, die ihn kennen. Als neun MOVE-Mitglieder einen Prozeß wegen Mordes an dem Polizeibeamten James Ramp bekamen, überraschte Jamal andere Reporter, indem er im vertrauten Dread-Lock-Stil der MOVE-Leute auftauchte. "Sie sind der Beginn einer Bewegung", sagte Jamal über MOVE. "Jeder mit Augen und Verstand kann das sehen. Das hat etwas mit ihrer Leidenschaft und ihrer Bergeisterung zu tun." Als einige MOVE-Mitglieder letzten Sommer ihr Verfahren wegen dem Bau von Bomben bekamen, verkaufte Jamal im Presseraum des Rathauses die Zeitung der Organisation, erzählte Rodriguez. Das MOVE-Mitglied Laverne Sims Africa sagte gestern: "Mumia war kein Mitglied der Gruppe, aber wir betrachten ihn als Bruder."

Es gab auch Beschwerden, er sei nicht zuverlässig. "Er konnte unglaublich gewissenhaft sein", sagte ein Journalist, der mit ihm arbeitete, "und dann löste er sich in Luft auf. Wir konnten uns nicht auf ihn verlassen... konnte sein, daß er zu Verabredungen einfach nicht erschien." Peters und andere, die Jamal beobachtet haben, sagten, er sei auch zunehmend von der jamaicanischen Rasta-Bewegung gefesselt gewesen, die den verstorbenen äthiopischen Kaiser Haile Selassie als Gott verehrt und fürs Marijuana-Rauchen eintritt. Er war ein leitendes Mitglied der Vereinigung der Marijuana-Raucher von Amerika - einer Gruppe aus Philadelphia, die sich die Legalisierung von Marijuana zum Ziel gesetzt hat. Letzten Januar allerdings mußte die Gruppe aus Geldmangel ihre Arbeit aufgeben. "Ich glaube, die Organisation funktioniert deshalb nicht, weil die Leute in dieser Stadt, die Gras rauchen, sie nicht unterstützen", sagte Jamal damals. "Ich fände das Ende der Organisation schrecklich, denn es gefällt mir, wenn Leute für etwas aufstehen, woran sie glauben.".
In der jüngsten Zeit arbeitete Jamal bei der Rundfunkstation WDAS. Aber einem Journalisten zufolge, der gut bekannt mit ihm war, kam Jamal mit einigen WDAS-Mitgliedern nicht zurecht und arbeitete deshalb nur Teilzeit.

Die Polizei sagt, daß er zusätzliich Taxi fuhr, um finanziell über die Runden zu kommen.
Diejenigen, die ihn kennen, erinnern ihn als einen ruhigen Mann, der schwer zu erzürnen war. Seine Verhaftung wegen Mordes scheint nur ein weiteres schlechtpassendes Teil des Puzzles zu sein. "Ich kann Ihnen nicht sagen, wie fassungslos ich über diese Sache bin", sagte der Kolumnist der Daily News Chuck Stone. "Mumia ist schon immer eine friedfertige Person gewesen. Sie würden es niemals erleben, daß er laut wird. Wenn Sie bei ihm anrufen würden, könnten Sie hören, wie er "peace" sagt, bevor das Gespräch beginnt."

 
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