Zurück zu Dokumente  Mumia Solidaritäts Index MSI [de]   26.10.1999
Demonstrationen, Kundegebungen und mehr Links ins WWW... Kontakt aufnehmen

 hauptseite - dokumente - 991027msi00de

  Homepage Dokumente Email: info.msi@gmx.de - keine email ?
             


Auch als Textdatei
Meine Zeit läuft ab
Ein Besuch bei dem Todeskandidaten Abu-Jamal, dessen Hinrichtungstermin auf den 2. Dezember festgesetzt ist
Von Heike Kleffner
Veröffentlicht am Montag, 25 Oktober 1999 in der Frankfurter Rundschau.
bei MSI seit 27. Oktober 1999

 

"Welcome to Gods country" grüßt ein Schild am Straßenrand Reisende im südlichesten Zipfel des Bundesstaates Pennsylvania. Neben jeder kleinen Ansiedlung findet sich hier ein Gotteshaus. Seitdem es mit dem heimischen Kohlebergbau bergab ging, leigt die Arbeitslosigkeit in der Region weit über dem Durchschnitt der USA. Nur in der Kreisstadt Waynesburg sorgt ein Hochsicherheitsgefängnis mit über 1000 Gefangenen für einen bescheidenen wirtschaftlichen Aufschwung.
Der weitläufige Gebäudekomplex versteckt sich hinterhohen Stacheldrahtrollen, zwischen denen geharkte Sandstreifen jeden Fußabdruck zeigen. Die Anlage mit den Wachtürmen, in denen Wärter mit Schußwaffen patroullieren, erinnert an den Todesstreifen an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze. Besucher werden durch endlose Gänge eskortiert. "Welcome to Hell - Willkommen in der Hölle", sagt Mumia Abu-Jamal, als ein Aufseher die Glastür zu einer kleinen Besucher zelle öffnet. Genau zwei Stunden Zeit sind ihm eingeräumt, um sein Leben "in der Hölle des Todestrakts von Waynesburg" zu beschreiben. Hier ist die Mehrheit der insgesamt 226 Todeskandidaten des Bundesstaates Pennsylvania inhaftiert. Über die Hälfte von ihnen sind Afroamerikaner, deren Anteil an der Gesamtbevölkerung des Bundesstaates knapp neun Prozent beträgt. Der heute 45jährige ehemalige Black Panther und Radio-journalist Abu-Jamal ist einer von ihnen. Er wurde 1982 wegen Mordes an einem weißen Polizisten zum Tode verurteilt.
Abu-JamalDer übliche Handshake zur Begrüßung entfällt. Stattdessen klopft der hochgewachsene Mann in dem verwaschenen schwarz-weiße gestreiften Overall mit den Handschellen, die seien Hände umklammern, gegen die dicke Sicherheitsglasscheibe. Jeder direkte Kontakt zwischen Todeskandidaten und Besuchern ist unmöglich. Ausnahmen gibt es nicht. Abu-Jamal, dreifacher Vater und inzwischen schon Großvater, sagt, für die Sehnsucht, nach 17 Jahren im Todestrakt eine vertraute Person anfassen zu dürfen, fände er kaum Worte. "Was bleibt, sind Träume." Über Gefühle zu reden ist gefährlich in einer Umgebung, in der jedes Wort mitgehört und "gegen dich verwandt" werden kann. So wie 1995, als die Gefängnisleitung zugeben mußte, dass sie über Monate den Schriftverkehr zwischen Abu-Jamal und seinen Anwälten kopiert und an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet hatte.
Je nach politischer Gesinnung der Kommentatoren gilt der Mann mit der tiefen Radiostimme als "kaltblütiger Polizistenmörder" oder "Stimme der Unterdrückten". Keinem anderen der landesweit 3500 Todeskandidaten ist in den letzten Jahren soviel internationale Aufmerksamkeit zuteil geworden wie Abu-Jamal. Amnesty Internationals Präsident Pierre Sane und Danielle Mitterand haben ihn besucht, das Vorgehen der Justiz angeprangert und ein neues Verfahren verlangt. Demonstranten fordern immer wieder vor US-Botschaften seine Freilassung.
Jeder Besuch sei "wie ein Fenster zur Welt", sagt Abu-Jamal, der lieber die Rollen tauschen und den Besuch über die Menschenrechtspolitik der Bundesrepublik ausfragen möchte. Nur zögernd spricht er dann doch über Gefühle. Über seine Hilfslosigkeit, sich gegen die hämischen Berichte zu wehren, wonach sich eine internationale Menschenrechtsschikeria die Klinke in die Hand gebe, um "Hollywoods Lieblingsmörder" zu besuchen. Über seine Einsamkeit und die Überwindung, die es kostet, statt den Fernseher in der Zelle anzuschalten und sich "von bunten Bildern betäuben zu lassen", einen Artikel über die Geschichte der Black Panther zu schreiben. "Handschriftlich, ohne Schreibmaschine."
Seit der Veröffentlichung seines Buches »Live aus der Todeszelle« ist Abu-Jamal zur Symbolfigur der Todesstrafengegner avanciert. Er habe manchmal den Eindruck, dadurch zur Projektionsfläche für unterschiedlichste politische Ambitionen geworden zu sein, sagt er. "Kongreßabgeordnete wollen Stimmen gewinnen, indem sie meine Hinrichtung fordern. Für andere bin cih ein Symbol, aber kein Mensch mit Hoffnungen und Ängsten." Mit einer energischen Geste schüttelt er die an den Schläfen ergrauten Dreadlocks aus dem Gesicht. Seine größte Angst? "Dass meine Unterstützer denken, meine sogenannte Prominenz würde mich davor schützen, hingerichtet zu werden. Dem Gouverneur ist es todernst, mich umzubringen."
Am Tag nach dem Besuch erfährt Abu-Jamal von der Ablehnung seines Antrags beim Obersten Gerichtshofs in Washington, die von seinen Anwälten vorgebrachten Verletzungen seiner Verfassungsmäßigen Rechte als Präzedenzfall anzuhören. Eine Woche später unterzeichnet Pennsylvanias Gouverneur Thomas Ridge mit zwei weiteren Hinrichtungsbefehlen auch den von Abu-Jamal. Als Hinrichtungsdatum ordnet er den 2. Dezember 1999 an.
Für Abu-Jamal ist es das zweite Mal, dass sein Tod auf den Tag genau festgelegt ist. Der erste Hinrichtungsbefehl wurde 1995 zehn Tage vor dem Exekutionstermin ausgesetzt, weil seine Berufungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft waren und internationale Proteste den Fall begleiteten. 68 Tage hatte Abu-Jamal damals in der sogenannten Phase Zwei verbracht. Detailliert beschreibt er, was ihn auch in den kommenden Wochen erwartet. "Alle zehn Minuten kommt ein Aufseher, um zu kontrollieren, daß ich mich nicht umbringe. Das Licht wird nie ausgeschaltet. Die Post wird einbehalten. Der wöchentliche 15minütige Telefonanruf ist gestrichen. Nur mein Anwalt und engste Angehörige dürfen mich besuchen."
Abu-Jamal Abu Jamal hofft, dass ein Bundesrichter den Hinrichtungsbefehl auch dieses Mal aussetzt. Noch bleiben ihm zwei Berufungsinstanzen auf der Bundesgerichtsebene, die über den Antrag auf Wiederaufnahme seines Verfahrens entscheiden müssen. "Mein Mandant ist unschuldig", sagt Bürgerrechtsanwalt Leonard Weinglass, der Abu-Jamal seit zehn Jahren vertritt. "Aber um das zu beweisen, braucht er einen neuen Prozeß." Die Chancen dafür beurteilt er skeptisch. Ein 1996 zur schnelleren Umsetzung der Todesstrafe verabschiedetes erlaubt den Bundesrichtern die Revision von Urteilen aus den unteren Instanzen nur noch, wenn diese auf einer "unmäßigen" Verletzung von verfassungsgeschützten Rechten der Verurteilten basieren. Wurden vorher rund 35 Prozent aloler Todesurteile von den Bundesrichtern aufgehoben, so ist diese Möglichkeit heute stark eingeschrängt. Auch wenn der Oberste Gerichtshof in Washingtion in einem Präzedenzfall gerade mit Anhörungen zu der Frage begonnen hat, welcher Spielraum sich hinter dem Begriff "unmäßig" verbirgt, verbietet sich Abu-Jamal allzu große Hoffnungen: "Momentan gibt es keinen obersten Richter mehr, der grundsätzlich gegen die Todesstrafe ist".
Kritiker werfen Abu-Jamals Unterstützern vor, angesichts der noch ausstehenden Berufungsmöglichkeiten, sei "die Panikmach" wegen des Hinrichtungsbefehls völlig unbegründet. Abu Jamal verweist dagegen auf die Politik des Gouverneurs: Auf Nachfrage sagt dessen Pressesprecher Tom Childs offen: "Dem Gouverneur geht es darum, die Gefangenen dazu zu zwingen, ihre Berufungsschritte aufzubrauchen und die langen Wartezeiten bis zur Hinrichtung zu verkürzen." Bisher habe Ridge 171 Hinrichtungsbefehle unterschrieben. Drei weiße Todeskandidaten wurden mit einer tödlichen Giftspritze in den staatlich angeordneten Tod geschickt.
Vor vier Jahren, nachdem der erste Hinrichtungsbefehl aufgehoben wurde, habe er mit einem Fernstudium der Psychologie begonnen, erzählt Abu-Jamal. Das handschriftliche Manuskript hat er vor kurzem zum Abtippen "nach draußen" geschickt. Ob ein Bundesrichter seinen Hinrichtungsbefehl aussetzen und es dann noch Monate oder Jahre duern wird, bis die letzten Berufungsinstanzen durchlaufen sind, darüber will er nicht spekulieren. "Meine Zeit läuft ab", sagt Abu-Jamal.

 
Von Heike Kleffner. Frankfurter Rundschau, Montag 25.10.1999

 

| zum Anfang der Seite
  Homepage Email: info.msi@gmx.de - keine email ?
        Korrekturen, Änderungen und Ergänzungen bitte einsenden.