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  Update to Race for Justice
Text von Leonard Weinglass zur Situation von Mumia in seinem Verfahren 1997.
Aus: Freiheit für Mumia! - Hintergründe eines Fehlurteils und juristische Fakten gegen einen drohenden Justizmord" (s.u.)
 
 

Seit die erste Auflage des Buches ‘Race For Justice’ veröffentlicht worden ist, das war vor fast zwei Jahren, haben sich die Dinge in Mumia Abu-Jamals Verfahren sehr viel günstiger entwickelt als in den ersten 12 Jahren seit der Verurteilung. Aber immer noch sitzt er in der Todeszelle, und es besteht die Möglichkeit, daß im Laufe des Jahres 1997 ein neues Datum für die Hinrichtung festgesetzt wird.

Die Staatsanwaltschaft hatte ihren Fall im wesentlichen auf drei Säulen gestützt:

  1. Die Augenzeugen am Tatort hätten Mumia als die einzige Person bezeichnet, die Officer Faulkner getötet haben kann.
  2. Mumias Pistole sei die Tatwaffe gewesen.
  3. Mumia habe die Tat später im Krankenhaus gestanden.

Im Jahr 1995 und im letzten Jahr haben zwei sehr langwierige gerichtliche Anhörungen stattgefunden, bei denen über die Wiederaufnahme des Prozesses gegen Mumia entschieden wurde. In diesen Verfahren wurden die genannten drei Grundlagen der Verurteilung von Mumia bis in die Wurzel erschüttert und so umfassend entwertet, daß eigentlich die Wiederaufnahme des Verfahrens gar nicht mehr zu vermeiden war. Aber die brennenden Befürworter seiner Hinrichtung sahen das anders.

Folgende neue Tatsachen über den tatsächlichhen Hergang der Ereignisse sind in diesen Gerichtsverfahren ans Licht gekommen:

Der Zeuge William Singletary hatte den gesamten Vorfall mitbekommen, wurde auch von den eintreffenden Polizeibeamtem am Tatort angetroffen, aber trotzdem 1982 im ersten Verfahren nicht als Zeuge gehört. Er sagte aus, er habe gesehen, daß ein Mann, und zwar nicht Mumia oder sein Bruder, auf Officer Faulkner geschossen habe und danach weggerannt sei. Das genau hatte er in der fraglichen Nacht auch den Ermittlungsbeamten gerichtet, was allerdings nur dazu führte , daß die Polizeibeamten ihm Nachteile androhten, falls er seine Aussage nicht ändere. Für Stunden war er auf dem Polizeirevier festgehalten und sah sich letzten Endes dazu gezwungen, Philadelphia zu verlassen, weil er die Drohungen und Schikanen der Polizei nicht mehr aushalten konnte. Der Zeuge Singeltary war im Gegensatz zu den Zeugen der Anklage ein unbescholter Mann und Familienvater, der im Vietnamkrieg ausgezeichnet worden war. Für ihn ergab sich nicht das geringste Motiv, warum er die Unwahrheit gesagt haben sollte.

Debbie Kordansky war eine weitere Zeugin, die im ersten Verfahren nicht ausgesagt hatte. Sie hatte nämlich erklärt, sie könne “die Schwarzen nicht leiden” und habe auch “kein Interesse, der Verteidigung zu helfen”. Dieses Mal wurde sie unter Zwangsandrohung vor Gericht geladen und bestätigte, daß sie der Polizei schon in der damaligen Nacht berichtet hatte, sie habe von ihrem Hotelzimmmer hoch über dem Ort des Geschehens und mit einem ausgezeichneten Überblick gesehen, daß nach der Schießerei ein Mann die Straße hinuntergelaufen sei.

Weiterhin hatte ein Zeuge der Anklage, der Taxifahrer Robert Chobert, im ersten Verfahren Mumia belastet, er sei der Mann gewesen, der auf Officer Faulkner geschossen habe. Er mußte nun zugeben, daß er ursprünglich der Polizei berichtet hatte, er habe den Schützen weglaufen sehen. Er habe sich aber bei dieser Angabe “geirrt”, so daß er im Gerichtsverfahren sechs Monate später etwas anderes ausgesagt habe. Die Gründe für diesen Irrtum wurden deutlicher, als Mr. Chobert einräumen mußte, die Polizei habe herausgefunden, daß er gar keinen Führerschein gehabt habe. Da habe er sich an den Staatsanwalt, der die Ermittlungen in Mumias Fall geleitet habe, um Hilfe gewandt. Und etwas dümmlich meinte der Zeuge, er hätte bestimmt noch weitere zehn Jahre sein Taxi ohne Führerschein fahren können.

Nach langen und intensiven Nachforschungen konnte man schließlich im Jahre 1996 die Zeugin Veronica Jones ausfindig machen, die im ersten Verfahren abgestritten hatte, daß sie irgend jemand vom Tatort habe weglaufen sehen. Ihre Tätigkeit als Prostituierte hatte sie schon seit langem aufgegeben und nur noch eine schwäche Erinnerung an ihr damaliges Leben. Aber sie konnnte dem Gericht berichten, was sie der Polizei in den ersten Tagen nach dem Vorfall erzählt hatte, nämlich daß sie in Wirklichkeit zwei Männer habe weglaufen sehen, nachdem die Schießerei zu Ende war. Warum sie diese Aussage im Gerichtsverfahren nicht aufrecht erhalten hatte, wurde dann auch offenbar. Ms. Jones hatte nämlich kurz vor Beginn der Verhandlung gegen Mumia Besuch von zwei Polizeibeamten erhalten. Zu der Zeit saß sie im Gefängnis und wartete auf ihr eigenes Gerichtsverfahren. es ging da um sehr gravierende Vorwürfe, die ihr leicht eine Strafe von 10 Jahren Gefängnis hätten einbringen können, wenn Sie der Verteidigung von Mumia geholfen hätte. Damals war Ms. Jones gerade zwanzig Jahre alt und hatte die Trennung von ihren drei Kindern zu erwarten, wenn sie tatsächlich zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden wäre. Nachdem Richter Sabo diese Aussage der Zeugin gehört hatte, wurde er fuchsteufelwild. Er ließ sie verhaften, weil es noch einen alten Haftbefehl wegen eines ungedeckten Schecks gegen Ms. Jones gab. Sie wurde in Handschellen aus dem Gerichtssaal geführt.

Erst im Jahre 1995 hatte die Verteidigung in Erfahrung gebracht, daß man in der Uniform des getöteten Polizeibeamten einen Fürhrerschein eines Mannes gefunden hatte, bzw., den Antrag auf Erteilung einer Fahrerlaubnis, und zwar war dieser Mann in der betreffenden Nacht als Tatverdächtiger zur Revierwache gebracht worden. Das hatte die Staatsanwaltschaft dreizehn Jahre lang der Verteidigung vorenthalten! Nach den Personaldaten in diesem Führerschein konnte dieser Mann ermittelt werden. Er bestätigte bei einer gerichtlichen Anhörung auch, daß es sich um seinen Führerschein handele und daß er tatsächlich in der fraglichen Nacht in Polizeigewahrsam genommen worden sei. Er hatte allerdings ein wasserdichtes Alibi und wurde daher entlassen. Aber er hatte der Polizei den Namen des Mannes mitgeteilt, dem er seinen führerschein geliehen hatte. Dieser Mann wurde ebenfalls verhaftet. Es fand eine Wahlgegenüberstellung statt, bei der dieser Mann, der zwischenzeitlich verstorben ist, nach den Angaben des Führerscheinbesitzers von einer Zeugin indentifiziert worden sein soll.

Diese neuen Umstände zusammengenommen zerstörten die Grundlage der Argumentation der Staatsanwaltschaft, daß Mumia deswegen der Täter sein müsse, weil nur drei Personen am Tatort gewesen seien, nämlich er selbst, sein Bruder und Officer Faulkner. Richter Sabo bezeichnete alle diese neuen Aussagen als unglaubwürdig. Soweit die Staatsanwaltschaft selbst eingestanden hatte, diese neuen Umstände seien zufreffend, hielt er sie aber nicht für überzeugend. Nach seiner Ansicht sei eine Wiederaufnahme des Verfahrens abzulehnen, weil die neuen Tatsachen die Theorie der Staatsanwaltschaft über den Hergang der Schießerei so, wie es in dem Verfahren im Jahre 1982 festgestellt worden sei, nicht erschüttert hätten. Er wollte den neuen Beweisen keinen Glauben schenken oder hielt sie für nebensächlich. Nachdem Judge Sabo die Wiederaufnahme des Verfahrens im Frühjahr 1997 erneut abgelehnt hatte, konnte eine weitere Zeugin, die Prostituierte Pamela Jenkins, ausfindig gemacht werden, die mit neuen, wichtigen Informationen aufwartete. Sie hatte als Informantin für das FBI gearbeitet und war Kronzeugin in einem Gerichtsverfahren bei einem Bundesgericht bei dem vor einer Grand Jury wegen Korruptionsvorwürfen gegen die Polizei verhandelt wurde. Gegenüber dem Supreme Court of Pennsylvania hat diese Zeugin eine eidliche Erklärung abgegeben, daß sie von der Polizei bedroht worden sei, sie müsse Mumia als den Schützen angeben. Das habe sie hartnäckig abgelehnt, zumal sie ja nicht einmal in der Nähe des Tatortes gewesen sei. Schließlich half ihr ihr damaliger Freund, ein Polizeibeamter, der sich im zweiten Schuljahr auf der Highschool in sie verleibt hatte: Damal war sie gerade vierzehn. Ihr Freund war als Sozialarbeiter an der Schule tätig und hatte sich um Schulschwänzer zu kümmern. Am wichtigsten war aber ihre Erklärung, daß ihre Freundin, die Zeugin Cynthia White, ebenfalls eine Prostituierte und die Hauptbelastungszeugin im Verfahren gegen Mumia, ihr erzählt habe, sie habe ihre Aussage nur deshalb gemacht, weil sie von der Polizei mit dem Tode gedroht worden sei. Der Oberste Gerichshof hat jetzt gerade entschieden, daß eine weitere richterliche Anhörung dieser Zeugin stattfinden soll, um ihre Aussage gerichtsverwertbar zu machen. Der zweite Kernpunkt der Staatsanwaltschaft, daß nämlich Mumias Pistole die Tatwaffe sei, wurde durch ein sehr überzeugendes Gutachten ebenfalls in Frage gestellt, so daß auch deswegen die Wiederaufnahme des Verfahrens begründet ist:

Der Bericht der gerichtsmedizinischen Untersuchung wurde erstmalig in das Verfahren eingeführt. Daraus ging insbesondere hervor, daß das Geschoß daß man aus dem Schädel von Officer Faulkner entfernt hatte, vom Kaliber 0.44 gewesen sei. (Mumias Pistole vom Kaliber 0.38 konnte eine solche Patrone nicht abfeuern.) Mumias Verteidiger aus dem ersten Verfahren sagte unter Eid aus, daß er sich nicht daran erinnern könne, jemals diesen gerichtsmedizinischen Untersuchungsbericht gesehen zu haben. Er habe daher auch im Verfahren den gerichtsmedizinischen Sachverständigen zu diesem Autopsiebericht nicht befragt und dieses Gutachten auch nicht als Entlastungsbeweis eingeführt.

Der geichtsmedizinische Sachverständige wurde bei der ersten Anhörung zur Wiederaufnahme des Verfahrens im Jahre 1995 gerichtlich vorgeladen. Ganz offensichtlich hatte er schreckliche Angst, seinen eigenen Bericht vor Gericht zu vertreten, wo der Gerichtssaal halb voll mit Zuhörern von der Polizei war. Ganz verlegen konnte er sich nicht mehr an die damalige Autopsie erinnern und wußte gar nichts mehr über seine damaligen Notizen zum Autopsiebericht oder überhaupt über irgendeine Tätigkeit, die er in dem Fall geleistet hatte.

Der Waffensachverständige Fassnacht sagte zugunsten von Mumia aus, es sei absolut unbegreiflich, daß die Polizei es offenbar versäumt habe, auf ganz einfache Weise zu überprüfen, ob aus Mumias Pistole damals überhaupt ein Schuß abgefeuert worden sei. Er selbst habe doch diese Untersuchungsmethode bei der Polizei von Philadelphia propagiert, als er dort noch als Ausbilder tätig gewesen sei. Er konnte auch nicht nachvollziehen, wieso die Polizei nicht umgehend Mumias Hand untersucht hatte, um nachzuprüfen, ob er kurz zuvor eine Waffe abgefeuert habe. Dieser Test wird eigentlich bei Tötungsdelikten routinemäßig angewandt. Außerdem wurden das dem Bericht des Gerichtsmediziners widersprechende Ergebnis der krimialtechnischen Untersuchungsstelle der Polizei erörtert, die festgestellt hatte, das tödliche Geschoß sei vom Kaliber 0.38 gewesen. Es ergab sich der Hinweis, daß der Gerichtsmediziner zwei Stücke des Bleigeschosses aus dem Körper des getöteten Polizeibeamten entfernt hatte, aber bei der kriminaltechnischen Unteruchungsstelle der Polizei war nur eines angekommen und dort untersucht worden. Die Staatsanwaltschaft hatte es nicht für nötig gehalten, einen Zeugen zu ermitteln, der erklären konnte, wo das fehlende Stück geblieben sei und ob es möglicherweise das Ergebnis der kriminaltechnischen Untersuchung bei der Polzei zum Kaliber des Geschosses beeinflußt hätte. Wieder bleib Richter Sabo unbeeindruckt. Er tat einfach all die neuen Tatsachen zu dem Kaliber des Geschosses, zu Mumias Pistole, zu den unerklärlichen Unterlassungen der Polizei, Mumias Waffe eindeutig mit dem Mord in Verbindung zu bringen, oder das Versagen von Mumias Verteidiger als unerheblich ab.

Schließlich wurde das angebliche Geständnis im Krankenhaus so gründlich auseinandergenommen, daß sogar ein bedeutender Journalist, (ebenfalls ein Jurist) in einem Artikel der angesehenen und als äußerst konservativ geltenden Zeitschrift American Lawyer feststellte, er habe die gesamten Akten gelesen und müsse sagen, dieses Geständnis sei nichts weiter als ein Lügenmärchen. Die Verteidigung konnnte als neuen Beweis die Aussage des Polizeibeamten Officer Wakshul einführen, der im ersten Verfahren nicht als Zeuge hatte erscheinen und aussagen können, weil er angeblich im Urlaub gewesen sei. Die Verteidigung konnte ihn ausfindig machen und zur Anhörung vor Gerichts im Jahr 1995 vorladen. Officer Wakshul hat folgendes ausgesagt:

In der Tat habe er in der Nacht nach der Schießerei den ermittelnden Kollegen berichtet, “der Neger habe keine Erklärung” abgegeben. Einige Monate später jedoch, nach einer Unterredung mit dem Staatsanwalt, erinnerte er plötzlich, daß Mumia tatsächlich doch seine Tat gestanden habe. Auf die Frage, warum er davon vorher nicht gesagt habe, erwiderte er: “Ich habe das nicht für wichtig gehalten.” Darüber hinaus bestätigte er, daß er damals zur Zeit des Gerichtsverfahrens im Jahre 1982 offiziell als in Urlaub befindlich geführt worden sei. Tatsächlich sei er aber in seiner Wohnung in Philadelphia gewesen und habe auf einen Telephonanruf des Staaatsanwalts gewartet, daß er zu seiner Aussage erscheinen solle. Richter Sabo entschied, daß die nachträgliche Erinnerung des Zeugen nach der Unterredung mit dem Staatsanwalt erheblich präziser sei. Deswegen könne man den Bericht des Zeugen Wakshul aus der fraglichen Nacht getrost unbeachtet lassen. Auch zu diesem Punkt wurde Mumias Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens von Richter Sabo zurückgewiesen.

Aber in den Anhörungen in den Jahrenn 1995 und 1996 wurde nicht nur die tatsächliche Grundlage für die Verurteilung von Mumia vollkommen erschüttert, sondern es erwies sich, da das Verfahren selbst fehlerhaft war, was den Minimalstandard der Verfahrensrechte des Angeklagten angeht, insbesondere Mumias Möglichkeiten, sich selbst zu verteidigen: Der verteidiger im ersten Verfahren mußte in den drei Tagen seiner Befragung zugeben, daß er vor Beginn des Verfahrens nicht mit einem einzigen Zeugen gesprochen habe, daß er völlig unvorbereitet gewesen sei, daß er nicht einmal für den Verfahrensabschnitt zur Festsetzung der Strafe irgenwelche taktischen Vorüberlegungen angestellt habe, daß er es rechtsirrtümlich versäumt habe, in kritischen Verfahrenssituationen Einspruch einzulegen und daß er sich nicht darum bemüht habe, daß das Gericht ausreichende finazielle Mittel zur Verfügung stellte, um die erforderlichen Sachverständigen und einen Privatdetektiv zu beauftragen.

Der Privatdetekiv erklärte, er habe seine Ermittlungstätigkeit noch vor Beginn des Verfahrens einstellen müssen, da er nicht mehr bezahlt worden sei. Er habe nur zwei Zeugen vorab befragen können, wisse aber, daß die Polizei mehr als zehn Mal so viele Zeugen befragt hättte. Die meiste Zeit habe er damit verbracht, an die Zeugin Cynthia White heranzukommen, die Hauptzeugin der Anklage. Aber immer wenn er sie an der Straßenecke, an der sie als Prostituierte gearbeitet habe, habe befragen wollen, sei durch die Anwesenhaeit von zwei in Zivil gekleideten Polizeibeamten abgeschreckt worden, die sie bei ihrer Arbeit abgeschirmt hätten.

Der Waffensachverständige Fassnacht sagte aus, er habe es ablehnen müssen für die Verteidigung als Gutachter im Verfahren auszusagen, weil die dafür vom Gericht genehmigte Summe von 150 Dollar nicht ausreichend gewesen sei.

Mumias Verteidiger bezeugte, er habe sich bemüht, einen so dringend benötigten gerichtsmedizinischen Sachverständigen für die Verteidigung zu beauftragen, aber er habe keinen einzigen Pathologen dafür gewinnen können, für die vom Gericht genehmigten 150 Dollar den Auftrag zu übernehmen.

Insegsamt hat die Staatskasse für Mumias Verteidigung ungefähr 13.000 Dollar aufgewendet, eingeschlossen das Honorar des Verteidigers, den Privatdetektiv und einen Photographen. Wie absolut unzureichend diese Mittel sind, kann man daran sehen, daß bei anderen Gerichten in großstädtischen Gebieten ganz andere Beträge üblich sind. In Los Angeles County werden für eine Verteidigung, die ein Kapitalverbrechen zum Gegenstand hat, durchschnittlich 50.000 Daollar ausgegeben. Eine Sonderkommission im Staat New York hat dem Gouverneur empfohlen, künftig für solche Fälle einen Betrag von 600.000 Dollar anzusetzen. Aber Mumias Verteidigung war nicht nur durch diese unzureichenden Geldmittel und das Versagen seines Verteidigers benachteiligt, er mußte ein Verfahren über sich ergehen lassen, in dem die Jury durch rassisch motivierte Ausschließungen schwarzer Geschworener unter Verstoß gegen zwingende Rechtsvorschriften zusammengestellt worden war. Die Staatsanwaltschaft hatte schon im Jahre 1989 im Revisionsverfahren vor dem Obersten Gerichtshof einräumen müssen, daß sie acht afroamerikanische Geschworene, die eigentlich für dieses Amt geeignet gewesen wären ausgeschlossen hatte. Die Verteidigung konnte ermitteln, daß es in der Tat elf Geschworene schwarzer Hautfarbe waren. Als die Verteidigung die Staatsanwaltschaft mit diesem neuen Beweisergebnis konfrontierte, gestand sie bereitwillig ein, man habe jedenfalls zehn schwarze Geschworene aus der Jury ausgeschlossen. Nach dem gegenwärtigen Stand der Sache läßt sich also feststellen, daß die Staatsanwaltschaft von den fünfzehn Ablehnungsrechten, die ihr insgesamt zur Verfügung standen, mindestens zehn, also zwei Drittel, dazu benutzt hat, afroamerikanische Geschworene auszuschalten. Im Jahre 1986 hat das Oberste Bundesgericht der USA, der U.S. Supreme Court, die von der Staatsanwaltschaft geübte Praxis der rassisch motivierten Ausschließung von Geschworenen für rechtswidrig erklärt. Als der Pennsylvania Supreme Court im Jahre 1989 über die Revision von Mumia zu entscheiden hatte, umging er einfach diese verbindliche Entscheidung des U.S. Supreme Court. Das war ihm deshalb möglich, weil er der Behauptung des Staatsanwaltes gefolgt ist, es seien ja nur acht afroamerikanische Geschworene aus der Jury ausgeschlossen worden und daß diese von der Staatsanwaltschaft keinesfalls aus rassisch begründeten Motiven abgelehnt worden seien. Hinzukam, daß sich der Supreme Court von Pennsylvania auf die irrelevante Tatsache berief, daß Mumia selbst einen afroamikanischen Geschworenen abgelehnt hatte.

Da dies Frage auf Basis der neuen Tatsachen nun dem Pennsylvania Supreme Court erneut zur Entsscheidung vorgelegt worden ist, hat sich in jüngster Zeit eine geradezu dramatische Entwicklung ergeben. Die zur Zeit amtierende Generalstaatsanwältin für den Distrikt von Philadelphia, Lynne Abraham, tritt bei den anstehenden Neuwahlen gegen einen ehemaligen stellvertretenden Generalstaatsanwalt an, der jetzt als Rechtsanwalt tätig ist. In einem Aufsehen erregenden Schritt, der zweifelsohne im Zusammenhang mit ihrer Wahlkampagne zu sehen ist hat die Bezirksstaatsanwaltschaft kürzlich ein sehr entlarvendes Video herausgegeben. Es handelt sich dabei um ein Video, das im Jahre 1987 von ihrem jetztigen Herausforderer zu Schulungszwecken aufgenommen worden ist, als er bei der Bezirksstaatsanwaltschaft als Ausbilder tätig war. Man kann davon ausgehen, daß dieses Video die damals gültige Praxis bei der Bezirksstaatsanwaltschaft wiedergibt. Dieses Video zeigt, wie er junge Staatsanwälte über Methode und Taktik bei der Auswahl der Jury unterrichtet. Er erklärt seinen jungen Kollegen, wie man es anstellen müsse, Geschworene schwarzer Hautfarbe mit einer nur vorgespiegelten rationalen Begründung abbzulehnen, während in Wahrheit allein ihre Rassezugehörigkeit das Motiv für ihren Ablehnung sei. Er schlägt den unerfahrenen Berufskollegen zum Beispiel vor, durchaus afroamerikanische Geschworene für die Jury zuzulassen, wenn ihr biographischer Hintergrund zeige, daß sie ihrer Jugend in den Südstaaten noch deutlichen rassentrennenden Maßnahmen ausgesetzt worden seien. Das ließe nämlich die Vermutung zu, daß sie gegenüber staatlichen Autorität eher verängstigt reagierten und Respekt gegenüber staatlicher Autorität verinnerlicht hätten. Genauso ist die Staatsanwaltschaft in Mumias Fall vorgegangen. In diesem Verfahren stammte der eine der beiden afroamerikanischen in der Jury von den Virgin Islands: Bei der anderen handelte es sich um eine ältliche Dame aus South Carolina. Die Verteidigung hat dieses Videoband dem Obersten Gerichtshof von Pennsylvania vorgelegt und beantragt, es als Beweismittel für die Taktik der Staatsanwaltschaft bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen. Der Oberste Gerichtshof hat diesen Beweisantrag gerade kürzlich abgelehnt.

Ein anderes Problem ist dem Supreme Court von Pennsylvania vor kurzer Zeit ebenfalls zur Entscheidung vorgelegt worden. Es handelt sich um die Entscheidung einer Bundesrichterin in Pittsburgh von Ende 1996, daß die Strafvollstreckungsbehörde rechtswidrig die Korrespondenz zwischen Mumia und seinen Anwälten geöffnet und kopiert habe, und zwar zu der entscheidenen Zeit im Jahre 1995, als er gerade den Wiederaufnahmeantrag für das Gericht vorbereitete. Nach den Feststellungen dieser Bundesrichterin ist Mumia dadurch für seinen Wiederaufnahmeantrag ein “aktueller Schaden” entstanden. Das war das erste Mal, daß jemand aus der mit diesem Fall befaßtern Richterschaft der Ansicht von Mumia zugestimmt hat, die er seit fünfzehn Jahren vertritt, daß nämlich die Vertreter dieses Staates vorsätzlich und systematisch seine Rechte mit Füßen treten. Diese Entscheidung ist nicht rechtskräftig geworden, sondern wird jetzt in der Beschwerde verhandelt. Die Verteidigung hat diese Entscheidung aber zum Anlaß genommen beim Supreme Court von Pennsyvania zu beantragen, das Verfahren gegen Mumia wegen eines Prozeßhindernisses einzustellen oder weinigstens eine neue Anhörung oder ganz neues Verfahren anzuordnen. Das Gericht hat noch keine Entscheidung getroffen.

In der Beschwerde gegen die Ablehnung des Wiederaufnahmeantrags durch Richter Sabo sind dem Supreme Court von Pennsylvania dreiundzwanzig verschiedene Verfahrensfehler zur Entscheidung vorgelegt worden, darunter die Manipulationen der Staatsanwaltschaft und die weitere Unterdrückung von entlastendem Beweismaterial, die die Verteidigung erst jetzt herausgefunden hat. Eine Entscheidung wird im Laufe des Jahrs 1997 durch die sechs Richter beim Supreme Court von Pennsylvania erfolgen. Allerdings ist zur Zeit eine Richterstelle unbesetzt, da der Vorsitzende Richter des Supreme Court, der einzige afroamerikanische Richter an diesem Gericht unerwartet sein vorzeitiges Ausscheiden angekündigt hat. Das das war kurz nachdem Mumia seine Bescherdebegründung eingereicht hatte. Zu den sechs verbleibenden Richtern gehört auch der ehemalige Generalstaatsanwalt der Bezirkstaatsanwaltschaft Philadelphia, der die Staaatsanwaltschaft im Revisionsverfahren von 1989 vertreten hatte. Jedenfalls is die Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft von ihm unterzeichnet worden. Ein Antrag der Verteidigung, daß er an der Beschwerdeentscheidung nicht mitwirken dürfe, ist bisher noch nicht beschieden worden. Der weitere Antrag von Mumia, vor der Entscheidung über die Beschwerde möge eine mündliche Verhandlung stattfinden, bei der sein Verteidiger noch einmal seine Beschwerdebegründung darlegen könne, ist zwischenzeitlich entschieden worden. Der Antrag wurde abgelehnt.

Sollte Mumia seine Beswerde beim Supreme Court von Pennsylvania verlieren, hat Thomas Ridge, der Gouverneur des Staates Pennsylvania, ein konservativer Republikaner, dessen biographischer Hintergrund einen Einsatz im Vietnamkrieg als Schafschütze bei dem berüchtigten I. Armeecorps umfaßt, schon jetzt sein Absicht angekündigt, einen neuen Hinrichtungsbefehhl für Mumia zu unterzeichnen, in dem das genaue Datum der Exekution bestimmmt wird.

In diesem Fall wird Mumias Verteidigung versuchen, den Aufschub der Hinrichtung zu erreichen und beim zuständigen Bundesgericht des Bezirks Philadelphia, dem Federal District Court of Philadelphia, beantragen, das Verfahren nochmals nach den Grundsätzen einer ungerechtfertigten Inhaftierung zu überprüfen. Natürlich ist es nicht sicher, aber man erwartet, daß das Bundesgericht einen Aufschub der Hinrichtung anordnen wird, bis es Gelegenheit hatte, den fall genauestens auf Verstöße gegen das Bundesrecht zu überprüfen. Dieses Stadium des Verfahrens ist von Mumias Verteidigung schon immer als entscheidend angesehen worden in dem Kampf, sein Leben zu retten. Als die Todesstrafe im Jahre 1977 wieder in den Vereinigten Staaten eingeführt wurde, haben die Bundesrichter mehr als fünfunddreißig Prozent der Todesurteile der Gerichte der einzelnen Gliedstaaten wegen Verletzung zwingender Vorschriften des Bundesrechts aufgehoben. Die Bundesrichter werden, anders als die meisten Richter bei den Gerichten der Einzelstaaten, nicht gewählt, sondern auf Lebenszeit ernannt, falls sie nicht wegen einer Amtspflichtverletzung in einem förmlichen Verfahren abgelöst werden. Es bestand die Erwartung, daß Mumia letztendlich im Verfahren vor den Bundesgerichten sein Recht finden wird, wenn die Gerichte in Pennsylvania ihm weiter seine Rechte verweigern.

Aber das gilt nicht länger. Am 24. April 1996 hat Präsident Clinton nach dem Terroranschlag von Oklahoma City das “Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus und der effektiven Festsetzung der Todesstrafe” unterzeichnet. In einer der Vorschriften dieses Gesetzes werden die Kompetenzen der Bundesrichter, die Strafverfahren der Gerichte der Gliedstaaten in eigener unabhängiger Entscheidungsgewalt auf Verstöße gegen das Bundesrecht zu überprüfen, ganz entschieden beschnitten. Im wesentlichen bedeutet das, daß die Bundesgerichte gehalten sind, die Entscheidungen der einzelstaatlichen Gerichte hinzunehmen und deren Urteile aufrecht zu erhalten, selbst wenn Verstöße gegen das Bundesrecht vorliegen. Das gilt jedenfalls insoweit die Urteile der Einzelstaaten nicht “unzumutbar und übertrieben” gegen Bundesrecht verstoßen haben. Zwar wird diese drastische Einschränkung der althergebrachten Überprüfung der Urteile auf Grundrechtsverstöße durch das neue Gesetz vor Gericht wiederum angefochten, aber der Ausgang ist ungewiß, insbesondere weil über diese Frage Richter zu entschieden haben, die noch unter der Administration von Reagan bzw. Busch ernannt worden sind.

Seit mehr als fünfzehn Jahren hat Mumia, der im Schatten ständiger Todesdrohung leben muß, seine Unschuld beteuert. Die neuen, oben aufgeführten Beweistatsachen, die in den letzten zwei Jahren ermittelt werden konnten, unterstützen seinen Anspruch auf eine Wiederaufnahme des Verfahrens. Die Verurteilung eines Unschuldigen konnte nur dadurch erreicht werden, daß Staatanwaltschaft und Polizei Zeugen unterdrückt haben. Hinzu kommen weitere grobe Verfahrensverstöße der Anklagebehörde, eine höchst mangelhafte Verteidigerleistung und die gegen den Angeklagten gerichtete Verhandlungsführung eines feindseligen Richters. Sogar diejenigen, die für seine Hinrichtung eintreten, haben öffentlich anerkennen müssen, daß Mumia in einem Wiederaufnahmeverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit freigesprochen werden würde.

Wie das in der Vergangenheit schon häufig geschehen ist, wird das amerikanische System der Strafgerichtsbarkeit auch durch diesen Fall herausgefordert, sich dem Problem der Gleichbehandlung vor dem Gesetz zu stellen, wenn es in einem Prozeß um die Themen der Gleichheit der Rassen, der gesellschaftlichen Klassen und um politische Überzeugungen geht. Hier wird das Leben eines politischen Aktivisten schwarzer Hautfarbe von den denselben politischen Mächten bedroht, die schon in der Vergangenheit unser Land mit einem System von Einschüchterung und Überwachung überzogen haben. Nur die umfassende Aufhebung des Urteils gegen Mumia Abu-Jamal und seine vollständige Rehabilitation, die ohnehin in Anbetracht einer fünfzehn Jahre andauernden quälenden Inhaftierung viel zu spät käme, kann einen weiteren Fall des rassistisch und politisch bedingten Justizmordes in einer unseligen Rechtsgeschichte verhindern, die mit dem Blut Unschuldiger getränkt ist.

 
Update to Race for Justice

Aus Leonard Weinglass
Freiheit für Mumia!
Hintergründe eines Fehlurteils und juristische Fakten gegen einen drohenden Justizmord"
Mai 1997
Atlantik Verlag, ISBN 3 926529-30-X
c/o Postfach 150323, D-28093 Bremen
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