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Rechtsanwalt Robert R. Bryan, San Francisco, vertritt Mumia Abu-Jamal seit dem Frühjahr 2003 als Hauptanwalt. Seit 30 Jahren Verteidiger in Todesstrafenverfahren war er von 1987 bis 1990 Vorsitzender der grössten landesweiten Organisation, die für die Abschaffung der Todesstrafe eintritt, der National Coalition to Abolish the Death Penalty. Bryan Verteidigte u.a. Mitglieder des American Indian Movement (AIM) erfolgreich gegen fingierte Mordanklagen. Das Interview wurde bereits am 10. Dezember 2003 unwesentlich gekürzt in der Beilage »Freiheit für Mumia« der junge Welt veröffentlicht.
Frage: Wie ist die Verleihung der Ehrenbürgerschaft von Paris an Mumia Abu-Jamal in den USA aufgenommen worden?
Bryan: Die US-Medien haben dem Ereignis der Verleihung am 4. Oktober nicht die Aufmerksamkeit gewidmet, die man erwartet hätte. Trotzdem hat es Berichte gegeben und es gab scharfe Kritik an Frankreich. Vor allem ein Kommentator der extrem rechten Washington Post, aber auch andere Presseorgane schlachteten dabei die anti-französischen Ressentiments aus, die darauf zurückgehen, daß Frankreich Präsident George W. Bush nicht in seinem Vorhaben unterstützte, Irak zu erobern und zu unterstützen. Ich habe den Eindruck, daß einige der Zeitungen die Verleihung der Ehrenbürgerschaft nicht für das nahmen, was sie ist, nämlich eine deutliche Position des französischen Volkes in der Frage der Menschenrechte und der Todesstrafe. Genau gegenteilig fiel die Reaktion der Bewegung für Mumias Freiheit als auch der Antikriegsbewegung aus, wobei insbesondere der Festakt von Paris Auftrieb gab. Er war stimulierend und belebend und zeigte der Kampagne in den USA insbesondere, daß es anderswo Regierungen und politische Offizielle wie Bürgermeister Delanoë von Paris gibt, die auch der konservativen US-Regierung gegenüber in Sachen Menschenrechte und Todesstrafe klar Stellung beziehen.
Frage: Am 8. Oktober, also vier Tage nach dem Festakt in Paris, hat das Oberste Gericht von Pennsylvania die bis dato letzten Beweisanträge der Verteidigung abgeschmettert. Was sind die allernächsten juristischen Schritte, die Sie für Ihren Mandanten jetzt einleiten werden?
Bryan: Auf der juristischen Ebene entwickeln wir gerade eine Offensive. Dabei geht es schlicht um eine Aufhebung der Verurteilung wegen Mordes, also um einen neuen Prozeß, und dazu setzen wir an vier verschiedenen Punkten an:
Als erstes werde ich Ende Dezember oder Anfang Januar einen Antrag an das Oberste Bundesgericht der USA in Washington stellen, der sich gegen den jüngsten Beschluß des Obersten Gerichts von Pennsylvania richtet. Nach der Strafprozeßordnung muß das innerhalb von 90 Tagen nach der Entscheidung vom 8. Oktober geschehen.
Zweitens werden wir in der ersten Dezemberwoche einen Beweisantrag stellen, der Teil des Antrages für das Wiederaufnahmeverfahren ist, um das wir seit 1995 ringen. Dabei geht es nicht nur, aber vor allen Dingen um die Aussagen von Yvette Williams und Kenneth Pate (1). Williams zum Beispiel versichert eidesstattlich, daß die Aussage der Hauptbelastungszeugin Cynthia White im Prozeß von 1982, mein Mandant habe auf den Polizisten Daniel Faulkner geschossen, eine komplette Lüge ist und von der Polizei erzwungen wurde. Da dieser Antrag so noch nicht gestellt wurde, muß sich zunächst das dafür zuständige Staatsgericht der unteren Ebene in Philadelphia damit befassen, wo 1982 auch das Todesurteil gegen meinen Mandanten gesprochen wurde. Bevor darüber nicht in Philadelphia verhandelt wurde, würden sich die Bundesgerichte gar nicht mit dem Antrag befassen.
Drittens müssen wir noch entscheiden, was wir auf der Ebene der Bundesgerichte genau beantragen und wann wir das tun. Dort ist das Verfahren derzeit noch ausgesetzt. Inhaltlich dreht es sich hier um den Punkt, den ich auch in meinem letzten Interview gegenüber der jungen Welt schon erläutert habe, nämlich daß wir mehr Verfahrensrügen als beschwerdefähig anerkannt bekommen wollen. Bundesrichter Yohn hat in seinem Beschluß vom 18. Dezember 2001 ja nur den einen Punkt, der sich um rassistische Motive bei der Wahl der Geschworenen dreht, zur Beschwerde zugelassen. Das Oberste Bundesgericht hat aber am 24. Februar diesen Jahres ein Urteil gefällt, dessen wesentliche Aussage ist, daß die Bundesgerichte in der Frage, welche Beschwerden in Berufungen zugelassen werden, die Hürden zu hoch ansetzen. Und im Verfahren gegen meinen Mandanten gibt es eine große Anzahl von Beschwerden, die bislang nicht von den Bundesgerichten überprüft wurden.
Frage: Können Sie Beispiele nennen?
Bryan: daß unser Mandant während der Hälfte des Prozesses nicht im Gerichtssaal anwesend war beispielsweise. Das ist ein unglaublicher Vorgang! Er ist quasi in Abwesenheit verurteilt worden, was einen klaren Verfassungsbruch darstellt. Ein weiteres Beispiel: mein Mandant hat das verfassungsmäßige Recht, sich selbst zu verteidigen, und er wollte das auch, weil sein Pflichtverteidiger - gelinde gesagt - nicht sein Vertrauen genoß. Außerdem geht es um die Tatsache, daß die Staatsanwaltschaft wichtige Unschuldsbeweise und viele weitere Fakten zurückgehalten hat, die geprüft werden müssen. Wir werden also zu einem noch genau festzulegenden Zeitpunkt auf all diesen Fakten basierend einen Hauptantrag formulieren, der ein zentraler Aspekt unserer juristischen Strategie sein wird. Das wird noch nicht in allernächster Zeit sein, weil das Verfahren vor den Bundesgerichten noch ausgesetzt ist. Wir warten also auf die Nachricht des Gerichts, daß diese Ebene wieder aktiviert wird.
Frage: Wie sieht der vierte Teil Ihrer Offensive aus?
Bryan: Unser vierter Schritt geht in Richtung des US District Courts, an dem Bundesrichter Yohn zuständig ist, der im Dezember 2001 unsere Berufung gegen die Ablehnung des Wiederaufnahmeverfahrens abgelehnt hat. Zu Yohn müßten wir beispielsweise in Sachen des jetzt von den Staatsgerichten Pennsylvanias abgelehnten Beweisantrags gehen, in dem die Gerichtsstenografin Terri Maurer-Carter den Ausspruch von Richter Albert Sabo bezeugt, der 1982 während des Prozesses gegen Mumia gesagt hat: »Ich werde [der Anklage] dabei helfen, den Nigger zu grillen.« Soweit zu den vier Hauptpunkten unseres Vorgehens.
Frage: Wird durch diese Schritte die Verhandlung vor dem für Pennsylvania zuständigen Bundesberufungsgericht automatisch blockiert?
Bryan: Nein, das wird die noch aktuelle Aussetzung der Bundesgerichtsebene nicht zwangsläufig berühren. Das Bundesberfungsgericht (3rd Circuit of Federal Appeals) könnte die Aussetzung jederzeit beenden. Das unterliegt allein deren Entscheidung, könnte also bereits morgen geschehen. Normalerweise wäre es so, sicher. Aber in Mumia Abu-Jamals Verfahren ist nichts normal. Alles, was in diesem Verfahren je passiert ist, stellt eine Ausnahme dar, nicht die Normalität.
Frage: Das bedeutet, hier geht es mehr um Politik als um Rechtsstaatlichkeit?
Bryan: Wer sich mit dem Fall beschäftigt, muß sich einfach diesen größeren Rahmen klarmachen. Das Hauptziel des Gouverneurs von Pennsylvania ist es, Mumia Abu-Jamal umzubringen - und das insbesondere, seit dieser Gouverneur Ed Rendell, der früher als Staatsanwalt gegen meinen Mandanten ermittelt hat, eine derartige Bundesregierung mit George W. Bush als Präsidenten und John Ashcroft als Justizminister im Rücken hat. Sie wollen unseren Mandanten zum Schweigen bringen, weil er immer noch Woche für Woche seine Artikel und Kolumnen schreibt, und zwar aus der Todeszelle heraus. Und er findet als Journalist und Autor heute mehr Beachtung als vor seiner Verurteilung. Deshalb ist es für seine Gegner klar, daß sie ihn hinrichten müssen, um ihn endlich zum Schweigen zu bringen. Darum geht es. Von Beginn an bis heute ist das ganze Verfahren gegen ihn politisch.
Frage: Was kann die internationale Kampagne, was können alle, die das auch in Deutschland und Europa verhindern wollen, konkret tun? An wen genau muß sich der Protest richten?
Bryan: Das Problem, das wir im Moment haben, ist, daß wir das Todesurteil an so vielen verschiedenen Fronten gleichzeitig angreifen müssen. Es gibt derzeit nicht eine bestimmte Adresse, an die man sich wenden könnte. Von den Hunderten von Todesstrafenfällen, mit denen ich in den letzten dreißig Jahren direkt zu tun hatte, war keiner so kompliziert wie dieser. Es gibt immer noch eine unglaubliche Menge von Aspekten, die einer dringenden Untersuchung bedürfen. Die Aufgaben, die vor uns liegen, könnten besser bewältigt werden, wenn wir mehr Geld zur Verfügung hätten.
Darüber hinaus müssen die Menschen in Deutschland wissen, daß ihre Stimmen in den USA, wo sie in der Bevölkerung großen Respekt genießen, hier auch zu hören sein müssen. Die Frage ist, wie man das am besten erreichen kann. Wie sorgt man dafür, daß sich das in den US-Medien niederschlägt?
Zum Beispiel hat sich Michael Moore jetzt in einer E-Mail dafür entschuldigt, daß er in seinem neuen Buch sagt, Mumia habe den Polizisten »wahrscheinlich« umgebracht. Die ursprüngliche Bemerkung war ein Schock für uns gewesen, und danach war es einfach gut zu hören, daß Moore, den wir ja eigentlich für einen Freund gehalten haben, auf seiner Lesereise in Deutschland dafür kritisiert worden ist.
Frage: Sie sehen also eine enge Wechselbeziehung zwischen politischer Bewegung und juristischer Verteidigung?
Bryan: Der entscheidende Faktor in dieser Bewegung ist die Stärke der Basis, die Macht des Volkes. Ich kann nur immer wieder sagen, daß wir als Verteidigung nicht siegen können, wenn sich die Bewegung nicht machtvoll Gehör verschafft. Ich kann in diesm Moment noch nicht sagen, auf welchem Weg das am besten erreicht werden kann, was also der Brennpunkt sein sollte, in dem sich die Aktivitäten bündeln müßten. Das arbeiten wir gerade heraus. Wir haben aber mit dem Komitee »Mobilization to Free Mumia Abu-Jamal« in San Francisco eine Anlaufstelle eingerichtet, an die alle Petitionen, Protestschreiben, Solidaritätsbotschaften geschickt werden können (Adresse am Ende des Interviews). Wir brauchen jede aktive Unterstützung und jeden erdenklichen Protest!
Frage: Sie würden also sagen, daß die Verantwortlichen auf den Druck der Bewegung reagieren?
Bryan: Ganz sicher. In diesem Zusammenhang wirft der kürzlich erfolgte Einbruch in das Koordinationsbüro der Kampagne in Philadelphia am auch ein Licht auf diese Frage. Für mich ist es völlig klar, daß dort keine normalen Einbrecher am Werk waren, denn die hätten weder Radio noch Fernsehapparat stehen lassen, weil sich diese Geräte zu Geld machen lassen. Die Einbrecher im Büro des Komitees der Angehörigen und Freunde Mumia Abu-Jamals waren ausschließlich an Computern, Dateien und Akten interessiert. Es ist ganz klar, daß hier Polizei und/oder andere staatliche Institutionen oder ihre Zuträger am Werke waren, die klare politische Ziele verfolgen.
Interview und Übersetzung: Jürgen Heiser
Mobilization to Free Mumia Abu-Jamal
298 Valencia St.
SAN FRANCISCO, CA 94103, USA
Fon 001-(415)-255-1085
www.freemumia.org
E-Mail: alerts@FreeMumia.org
(Die im Interview von Robert R. Bryan erwähnte
zentrale US-Adresse)
Fußnote:
(1) Yvette Williams war zeitweise zusammen mit der Hauptbelastungszeugin Cynthia White im Gefängnis und hat eidesstattlich versichert, White habe ihr gegenüber gestanden, sie sei unter Drohungen von der Polizei zur Falschaussage gezwungen worden. (siehe »Free Mumia«, Atlantik Verlag Bremen 2002, S. 152ff)
Kenneth Pate, Stiefbruder der Belastungszeugin Priscilla Durham, erklärte in einer weiteren eidesstaatlichen Versicherung, seine Stiefschwester habe ihm gegenüber eingestanden, ihre Aussage im Prozeß sei falsch gewesen. Durham war 1981 Sicherheitsangestellte des Krankenhauses, in das der schwerverletzte Abu-Jamal eingeliefert wurde, und auf Druck der Polizei ausgesagt, Abu-Jamal habe geschrien: »Ich habe das Arschloch erschossen, und ich hoffe, er stirbt!«, obwohl er laut medizinischen Gutachten wegen seine Lungendurchschusses gar nicht sprechen konnte, geschweige denn »schreien« (junge Welt berichtete im Mai 2002).
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