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  Driving While Black
Weil die Polizei wieder einmal einen Schwarzen erschossen hat, kam es in Cincinnati zu Unruhen, und der Ausnahmezustand wurde verhängt. Artikel von Tim Blömeke aus der Jungleworld vom 18. April 2001
 
 

»Schatz, ich geh' mal kurz Zigaretten holen.« Das könnte einer der letzten Sätze des 19jährigen Timothy Thomas aus Cincinnati, Ohio, gewesen sein. Rauchen ist dort mit gravierenden Nachteilen verbunden, vor allem wenn der Raucher jung, männlich und schwarz ist. Dann kann man beim Zigarettenholen auch schon mal erschossen werden. Denn ein wahrer Hüter des Gesetzes ist auch nach Feierabend bereit, für die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung zur Waffe zu greifen. Und einem solchen zu begegnen, kam für den jungen Afroamerikaner einem Todesurteil gleich.

Der 27jährige Polizist Steve Roach hatte Feierabend, als er in der Nacht vom 6. auf den 7. April Timothy Thomas in dessen Wagen erkannte. Gegen Thomas lag ein Haftbefehl vor wegen Nichterscheinens vor Gericht. Ihm wurden 14 Ordnungswidrigkeiten zur Last gelegt, die meisten davon waren Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung. Statt anzuhalten und sich festnehmen zu lassen, versuchte der Teenager zu fliehen. Nach einer kurzen Verfolgungsjagd, erst im Auto, dann zu Fuß, schoss Steve Roach dem unbewaffneten Schwarzen aus kurzer Entfernung eine Kugel in die Brust. Thomas starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Er hinterließ eine Verlobte und einen drei Monate alten Sohn. Steve Roach, Mitglied der notorisch rassistischen Polizeigewerkschaft Fraternal Order of Police (FOP), gab an, Thomas habe den Eindruck erweckt, nach einer Waffe greifen zu wollen.

»Unwahrscheinlich« findet diese Darstellung der Ereignisse nicht nur der Bürgermeister der Stadt, Charles Luken. Tausende junge Schwarze demonstrierten Anfang vergangener Woche gegen polizeilichen Rassismus, es kam zu Plünderungen und Brandstiftungen. Die Polizei reagierte mit Tränengas und Gummigeschossen, Bürgermeister Luken verhängte am Dienstag letzter Woche den Ausnahmezustand. Seit Donnerstag besteht eine nächtliche Ausgangssperre, um der »Rassenunruhen«, so der gängige Begriff, Herr zu werden. Zuwiderhandlungen werden mit bis zu sechs Monaten Gefängnis oder mit Geldstrafen bis zu 1 000 Dollar geahndet. Wegen Verstößen gegen die Ausgangssperre gab es bis Samstag mehr als 350 Festnahmen. Nach der Trauerfeier für Timothy Thomas schoss die Polizei mit nicht tödlicher Spezialmunition auf eine Gruppe von Passanten und verletzte zwei Frauen und zwei Mädchen, nach Augenzeugenberichten ohne ersichtlichen Anlass. Eine Ansammlung von Menschen wurde von der Polizei mit vorgehaltener Waffe aufgelöst.

Vertreter von politischen und religiösen Gruppen wie der New Black Panther Party oder der Nation of Islam riefen zur Mäßigung auf, äußerten jedoch Verständnis für die Randale. Der Leiter der Cincinnati Black United Front, Reverend Damon Lynch III, nannte die bürgerkriegsähnlichen Zustände eine »Konsequenz der Ereignisse der letzten sechs Jahre. Die jungen Leute in den Straßen verleihen ihrem Zorn Ausdruck - auf die Art und Weise, die sie am besten verstehen.« Für Menschen mit heller Haut ist es gefährlich, sich nachts in der Innenstadt aufzuhalten. Zwei Aktivisten aus dem anarchistischen Spektrum, berichtete das Internetforum a-info, wollten sich mit den aufgebrachten Jugendlichen solidarisieren, wurden aber bedroht und verjagt.

Cincinnati ist mit 331 000 Einwohnern eine recht durchschnittliche Stadt im mittleren Westen. In den westlichen Vororten leben meist deutschstämmige Katholiken, die östlichen Vororte werden vornehmlich von Wasps bewohnt. 43 Prozent der Einwohner haben unter der Rubrik »Race« die Eintragung »black« in ihrem Personalausweis und leben vornehmlich in den strukturschwachen Innenstadtbezirken. Das Verhältnis zwischen der Polizei und der schwarzen Community ist seit Jahren angespannt. Seit 1995 hat die Polizei von Cincinnati 15 Menschen getötet, allesamt männlich und schwarz. Timothy Thomas ist der vierte Tote seit November 2000.

»Das eigentliche Problem ist das racial profiling«, also die rassistische Zuschreibung von Straftaten an Minderheiten, zitierte die New York Times einen 47jährigen schwarzen Bauarbeiter. »Die Cops haben den Druck erhöht, seit zwei von ihnen erschossen wurden; sie glauben, es sei ein Schwarzer gewesen. Seitdem verwenden sie all ihre Ressourcen gegen uns, ohne nach Schuld oder Unschuld zu fragen. Das Stichwort ist Driving While Black - das Verbrechen, mit schwarzer Hautfarbe Auto zu fahren.«

Die Polizei von Cincinnati hat eine lange Geschichte rassistischer Praxis. Am 7. November vergangenen Jahres erstickte ein 29jähriger Mann im Polizeigewahrsam. Er hatte versucht, vor der Polizei zu fliehen. Mehrere Beamte warfen ihn zu Boden, besprühten ihn mit Pfefferspray und fesselten ihn. Sein Tod wurde entweder durch Erwürgen oder durch Zusammendrücken des Brustkorbes herbeigeführt. Tags darauf erschossen Polizisten einen 30jährigen Mann. Er soll versucht haben, Seife und Deodorant in einem Geschäft zu stehlen. Das Justizministerium in Washington hat in beiden Fällen eine Untersuchung angekündigt. Öffentliche Empörung veranlasste den Stadtrat im März vergangenen Jahres, der Polizei die Praxis des racial profiling zu untersagen. Der Polizeichef von Cincinnati, Thomas Streicher, musste sich psychologischer Betreuung unterziehen - wegen rassistischer Äußerungen im Mai vergangenen Jahres.

Im März hat die Cincinnati Black United Front gemeinsam mit der American Civil Liberties Union (Aclu) gegen die Polizei eine Klage eingereicht. Die Organisationen werfen der Polizei rassistisch motivierte Nötigung und illegales Vorgehen gegen Schwarze über einen Zeitraum von über 30 Jahren vor, also praktisch seit den Unruhen wegen der Ermordung von Martin Luther King 1968.

Offenbar handelt es sich bei den jüngsten Unruhen wegen der Erschießung von Timothy Thomas um das Aufbrechen eines schon lange schwelenden Konfliktes. Und es scheint, als sei der Konflikt auf das Stadtgebiet von Cincinnati begrenzt. Es gibt, anders als bei früheren Aufständen wie 1992 in Los Angeles, keine Meldungen über Solidaritätskundgebungen in anderen Städten. Dabei ist die wichtigste Ursache des Konfliktes, das racial profiling, beileibe kein lokales Problem, und neu ist es auch nicht.

Die Aclu hat im Juni 1999 eine Untersuchung über racial profiling im Zusammenhang mit dem Krieg gegen Drogen veröffentlicht. David A. Harris, Professor für Rechtswissenschaften am Toledo College of Law, untersucht darin, wie sich die Kriterien der Polizei zur Erkennung von Drogenkurieren an Flughäfen seit den siebziger Jahren gewandelt haben. In der Urfassung des FBI-Agenten Paul Markonni sind es ausschließlich Verhaltensmuster, die als ausreichende Kriterien für die Festnahme und Durchsuchung einer Person gelten: Nervosität, das Bezahlen von Flugtickets in bar und mit großen Geldscheinen, bestimmte Reiseziele. Doch ungefähr gleichzeitig mit dem Aufkommen von Crack in den Großstädten Mitte der achtziger Jahre hat das Klischee vom Drogenhändler rassistische Züge angenommen.

Seit 1986 verwendet die Highway Patrol in 48 Staaten ein Täterprofil des FBI. Es enthält Kriterien wie das Tragen von viel Schmuck, eine Modeerscheinung unter Schwarzen, und das Fahren auffälliger oder »unpassender« Autos; Jeeps und Pickups sind offenbar für Weiße reserviert. Unter dem Vorwand von Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung werden Autofahrer angehalten. Der Polizist fordert den Verkehrssünder dann mehr oder weniger nachdrücklich auf, einer Durchsuchung des Wagens zuzustimmen. Eigentlich verbietet die Verfassung diese Art der Diskriminierung. Doch der konservativ besetzte Oberste Gerichtshof der USA hat in einer Reihe von Urteilen diese polizeiliche Praxis legitimiert.

In größeren Städten kann auch der Aufenthalt Schwarzer in einer »weißen« Wohngegend Grund für eine Durchsuchung sein. Die Untersuchung der Aclu fand heraus, dass in einigen Vierteln von Houston, Texas, die Wahrscheinlichkeit, wegen eines Verkehrsverstoßes angehalten zu werden, für einen mexikanischstämmigen Fahrer 43mal so hoch ist wie für einen weißen. Bei einigen Polizeitruppen gilt auch das »auffällig sorgfältige Einhalten der Verkehrsregeln« als Verdachtsmoment.

Zum Abschluss der Untersuchung fordert die Aclu konkrete Maßnahmen zur Beendigung des racial profiling. Es soll eine jährliche, das ganze Land erfassende Statistik über das Anhalten von Fahrzeugen veröffentlicht werden. Sie soll Daten über die »ethnische Zugehörigkeit« der Verkehrsteilnehmer enthalten. Außerdem wird gefordert, die unbegründete Kontrolle von Fahrzeugen unter einem Vorwand zu verbieten.

Doch selbst wenn diese Vorschläge zu Gesetzen werden, das Misstrauen der Polizei-Opfer ist tief verwurzelt. Wie sagte doch die Mutter des erschossenen Timothy Thomas: »Ich werde immer gefragt, warum mein Sohn geflohen ist. Er war männlich und schwarz. Natürlich ist er geflohen.«

 
Quelle:
jungleworld wochenzeitung

Siehe auch:
Proteste nach Ermordung von Timothy Thomas durch die Polizeit von Cincinati / USA - Support the cincinnati resisters! - Stop police brutality! - No more stolen lives!
Cincinnati: Polizei-Gummigeschoss trifft Säugling - Erlebnisbericht von John M, veröffentlicht auf der IMC Ohia Seite am Ostersonntag Morgen
USA: Kriminalität in Uniform - Polizeigewalt als Zahlenspiel - Mörder von T. Thomas haben nichts zu befürchten

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